Vineland
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Moritz Th.
Erster Abschnitt
Zoyd muss seine Unzurechnungsfähigkeit wie jedes Jahr unter Beweis stellen, um auch weiterhin Unterstützungsgelder durch den Staat zu bekommen. Eine abgekartete Sache, inklusive Live-Übertragung des Stunts im TV. Zoyd springt in irrer Verkleidung durch eine Scheibe. Das scheint zu reichen. Ein Zuschauer ist auch Hector, ein «DEA-Schnüffler», der Zoyd versucht als Quelle anzuzapfen.
Abschnitt Treffen Hector und Zoyd
Hector hält Zoyd sein abgefucktes Hippie-Leben vor Augen und versucht ihn als Spitzel zu gewinnen. Hector verhält sich allerdings merkwürdig, und am Ende verlässt er Hals über Kopf das Lokal, als es gestürmt wird von einer merkwürdigen Truppe unter einem Dr. Deeply, der Hector einzufangen versucht, da er offenbar fernseh-süchtig ist und in Therapie gehört.
«Was ihm entging, war die Tatsache, dass Frenesi in Wirklichkeit nichts Eiligeres zu tun gehabt hatte, als ihre Sachen zu packen und zu verschwinden – so leise, dass Zoyd, ganz mit Abspritzen beschäftigt, nichts davon bemerkte.»
Zoyd hat seine Ex-Frau Frenesi in einem Hotel in Hawai aufgestöbert und im grossen Hotel das Nachbarzimmer bezogen. Nach einem kurzen, unergiebigen Dialog auf den Balkonen zieht sich Frenesi ins Zimmer zurück – und zieht aus, während Zoyd sie in einer abgestandenen Sex-Phantasie auszieht.
Wir erfahren auch von Frenesis Sex-Phantasien (p. 107), Männer in Uniformen wirken auf sie stimulierend. Und auch auf ihre Mutter Sasha, die ihre anti-autoritäre, linke Politikhaltung auf eine Gegenreaktion gegen diese schwer zu kontrollierende Anziehung zurückführt.
«Die italienische Hochzeit – Rat und Tips für alle Fälle».
Auftritt eines fiktiven Buches von Deleuze und Guattari.
Das Konzert der unter falscher Flagge segelnden Vomitones (mit Prairies Freund Jesaja an den Drums), an der Hochzeit der Tochter des schwerreichen mafiösen Ralph Wayvone läuft aus dem Ruder… Man bemerkt, dass sie anders als angekündigt keine Italiener sind, ja noch nicht mal katholisch. Die Braut hofft merkwürdigerweise Hilfe aus besagtem Buch.
«Darryl Louise wurde gleich nach dem Krieg in Leavensworth, Kansas geboren, wo Moody, der alles heil überstanden hatte, Dienst im Militärgefängnis tat.»
Der Roman spielt in der Reagan-Zeit, dank Rückblenden über die Generationen hinweg (erst von Prairie zu Frenesi zu Sasha, jetzt von Frenesis Freundin D. L. zu deren Eltern) entsteht allmählich ein Panorama der amerikanischen Nachkriegsjahre. So unkonventionell die einzelnen Erzählmomente bei Pynchon, so traditionell die Struktur.
Kapitel mit Attentat auf Brock Vond
Langes Kapitel, worin D.L. Prairie Einblicke in die Vergangenheit ihrer Mutter Frenesi gibt, vor allem aber, wie sie, D.L., ausgebildet in asiatisch-esoterischen martial arts, für einen Mordauftrag angeheuert worden war, der Brock Vond, Bundesbeamter und erbarmungsloser Jäger von Subversiven, und offenbar auch Ex-Partner von Frenesi, ganz allmählich ins Jenseits befördern sollte. Nur kommt es beim Attentat zu einer Verwechslung, und D.L. ist an das falsche Opfer Takeshi gebunden, dessen Leben es zu retten gilt. In der Roman-Gegenwart müssen am Schluss des Kapitels D.L., Takeshi und Prairie aus der Gemeinschaftsküche einer merkwürdigen Kommune fliehen, vermutlich vor dem Zugriff von Brock Vonds Leuten, der hinter Frenesi und Prairie her ist.
«(…) und nochmals sorry für den kleinen Irrtum. Sayonara.»
Typisches Beispiel für den Pychonschen Humor. Takeshi ist aufgrund einer Verwechslung zum Opfer eines heimtückischen langfristigen Mordanschlags namens «Vibrierende Hand» geworden. Der kleine Irrtum kann ihn immer noch das Leben kosten, eine Heilung ist nicht so einfach zu erzielen.
«Macht mir nichts, ich bin ein Thanatoide.»
Nach spektakulärem Unfall hängt ein Auto im Apfelbaum, und die Blood und Vato versuchen Mann und Wagen zu bergen. Der Mann versucht selbst hinunterzukommen, was offenbar recht gefährlich ist. Die Warnung Vatos verfängt bei dem lebensmüden Thanatoiden, der den Unfall verursacht hat, nur bedingt. Blood und Vato fragen den Thanatoiden auch nach dem Wagen. Der sei in Ordnung, wird ihnen versichert. Offenbar haben auch manche Fahrzeuge von Thanatoiden die Tendenz zu verschwinden, wenn Blood und Vato sie reparieren wollen. Die Autos haben ein eigenes «Maschinenkarma».
«nämlich ein egozentrisches, geiles Highschool-Arschloch übelster Sorte, und erst noch im Erwachsenenformat»
Der grosse Unbekannte Brock Vond tritt ins Romanrampenlicht. Wie oben beschrieben sehen andere Brock, die verliebte Frenesi will etwas anderes in ihm sehen. Uns Lesern soll jetzt plausibel gemacht werden, wieso Frenesi auf diesen Typen reinfällt, der sie benutzt, um die linke (Film-) Szene, in der Frenesi aktiv ist, auszuspionieren.
«der Eintritt in den neuen Zustand hat sich so reibungslos vollzogen, dass zwischen der Verrücktheit des Lebens und der des Todes kein Unterschied festzustellen ist.»
Weed Atman, ehemals ein eher unwahrscheinlicher Anführer der 68er Uni-Proteste, scheint ein Thanatoide geworden zu sein.
Abschnitt mit Zerfall des Film-Kollektivs, Mord an Weed
Das Kollektiv ist zerfallen. Weed Atman, eine Art Doppelagent wie Frenesi, ist von einem Mitglied des Kollektivs erschossen worden, mit einem Revolver, den Frenesi von ihrem Liebhaber und Bundes-Anwalts Brock Vond erhalten hatte…. Die Szene wurde gefilmt, wenn auch nicht vollständig. Frenesis Tochter Prairie schaut ihn sich in der Erzählgegenwart an.
Die Mitglieder des Kollektivs sind in Polizeigewahrsam. In einer Szene, die an einen überdrehten Fernsehthriller oder Comic erinnert, gelingt es DL Frenesi zu befreien. Es folgt eine heftige Auseinandersetzung der beiden Freundinnen.
«Brock Vonds Genie bestand darin, dass er die Aktivitäten der Linken in den sechziger Jahren nicht als Bedrohung der Ordnung empfand, sondern als ungestillte Sehnsucht nach ihr erkannte.»
Das erlaubte es dem Bundesanwalt denn auch, Leute aus der linken Szene in Doppelagenten zu verwandeln. Unter Reagan heisst dann Ordnung Lagerhaft, und in der Terminologie von Anhängern der linken Szene, «den Faschismus zu installieren». (p.331)
Psychologie Brock Vonds
Vertiefung in die Psychologie Brock Vonds, seine Aufstiegsträume, seine Speichelleckerei. Lange war Brock im Roman der Unbekannte, Projektionsfläche. Was gewinnt der Roman durch diese Analyse, was verliert er?
Brock entpuppt sich als Anhänger einer Ganz-Körper-Physiognomie, er erkennt am Schwung einer Pobacke gesetzesbrecherische Neigungen. Grossartig.
«dass dies der beste Ort für sie und ihn war»
Zoyd findet mit der kleinen Prairie Zuflucht in Vineland, Ort der Hippie-Kommunen in Nordkalifornien.
«Auf dem Rücksitz stand laut und bunt ein tragbarer Fernseher, auf den Hector den Rückspiegel eingestellt hatte (…)»
Der fernsehsüchtige Hector taucht wieder mal auf, mit dem Auto unterwegs. Was für eine Szene! Die Frontscheibe mit den während der Fahrt laufenden Bildern ist ein TV-Ersatz, hinten läuft der Fernseher, Hector rundum versorgt.
«’Bis dann, Brock’, sagte Blood.»
Blood und Vato bringen Brock Vond, der mit seinem Helikopter beim Versuch, Prairie zu entführen, abgestürzt ist, offenbar ins Totenreich.
Kann er ein Thanatoide werden, wie Weed, den wir kurz darauf im «Zero Inn» antreffen? Weed scheint übrigens vor und nach seinem Tod ein Thanatoide zu sein.